EuropäischeTage des Kulturerbes 2025: Paris öffnet seine geschlossenen Pforten
- Ruth Lintemeier

- 26. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Es ist ein regnerisches Septemberwochenende, doch der Nieselregen kann unsere Vorfreude nicht trüben: Heute werden wir Paris noch einmal neu entdecken, nicht das Paris der Touristen, sondern jenes verborgene Paris, das sich nur einm-al im Jahr offenbart, und dieses vor allem für die Pariser selbst.
Am 20. und 21. September 2025 verwandeln die «Journées européennes du patrimoine» die Stadt in ein begehbares, lebendiges Geschichtsbuch, dessen Kapitel sich für zwei Tage öffnen: Wir haben die Möglichkeit, das Innenleben geschichtsträchtiger Orte zu entdecken (https://journeesdupatrimoine.culture.gouv.fr).
Wir sind glücklich, Eintrittskarten zu besonderen Orten erhalten zu haben, denn ohne diese ist der Eintritt strikt verwehrt. Andere Orte können aber durchaus ohne Anmeldung besucht werden – wie beispielsweise die Sorbonne.
Grand Palais – Kathedrale aus Glas und Stahl
Unsere Zeitreise beginnt am Grand Palais, diesem monumentalen Glastraum aus dem Jahr 1900. Nach Jahren der Renovierung erstrahlt er wieder in neuem Glanz. Unter der gewaltigen Glaskuppel, die «La nef» überspannt, betreten wir eine große Welt. Was uns sofort auffällt: ein herrlich mattes Grün, das alle Bauteile aus Stahl ziert. Ist dieses etwa neu? Nein, es ist das typische Grün, mit dem der Grand Palais einst eröffnet worden war. Es leuchtet jetzt wieder frisch und bringt die klare Architektur noch einmal mehr zum Ausdruck.

Wir sitzen auf einer Bank und lassen den Raum auf uns wirken: Das filigrane Eisengerüst erzählt vom industriellen Aufschwung, während die Beaux-Arts-Ornamente von einer Zeit träumen, als Schönheit das Maß aller Dinge war. Hier, wo einst Karl Lagerfeld seine spektakulären Chanel-Schauen inszenierte, verschmelzen Belle Époque und Moderne zu einem harmonischen Ganzen. Wir können verstehen, warum Karl Lagerfeld hier einmal einen Strand und ein Meer inszenierte. Hier gibt es Weite und Raum.
Hôtel de Charost – Das große Britannien in Paris
Der Regen begleitet uns in das achte Arrondissement, wo das Hôtel de Charost seinen 300. Geburtstag feiert. Normalerweise so britisch verschlossen wie ein Gentleman's Club auf der Bond Street, öffnet die Residenz des britischen Botschafters heute ihre Türen in der Rue du Faubourg Saint-Honoré Nummer 37 bis 39. Seit 1814 weht hier der Union Jack über französischem Parkett – eine Ironie der Geschichte, die Napoleon sicherlich nicht amüsiert hätte.
Am Eingang grüßt uns König Charles III. von einem goldgerahmten Porträt auf einem Teetisch mit geblümter Decke und Blumenvase. Wir fühlen uns wie geladene Gäste zum «Afternoon Tea».
In einem Saal erblicken wir wir eine reich gedeckte Tafel mit Silber, edlem Porzellan und frischen Obstdekorationen. An den Wänden finden wir unterschiedliche Kunst: Historische Gemälde treffen auf zeitgenössische Videoinstallationen. Die Ausstellung zeitgenössischer Kunst in den «Glazed Galleries» wechselt jedes Mal, wenn ein neuer Botschafter sein Amt antritt.
Ein weiterer Schatz verbirgt sich hinter dem Gebäude: Ein herrlicher englischer Garten mit gepflegten Blumenbeeten, verschlungenen Wegen, stilechten Holzmöbeln, einem Tennisplatz und – wie so oft – wunderbaren alten Bäumen, die man in dieser Stadt nicht vermuten würde. Trotz des Wetters flanieren eine Vielzahl von Besuchern im Garten umher. Wir spüren, dass wir uns auf der royalen Gartenparty von König Charles III. befinden.

Hôtel de Matignon – Im Herzen der französischen Politik
Die Wolkendecke reißt auf und unsere Entdeckungstour geht weiter zur Rue de Varenne Nummer 57 im siebten Arrondissement. Das Hôtel de Matignon ist seit 1936 der Sitz und Arbeitsplatz der französischen Premierminister.
Am 9. September 1944 leitet hier Charles de Gaulle die erste Sitzung des Pariser Ministerrats der Provisorischen Regierung der Französischen Republik. Die Geschichte dieses Herrenhauses liest sich wie ein Who's Who der europäischen Aristokratie: Montmorency, Grimaldi und Talleyrand; alle haben hier ihre Spuren hinterlassen.
Erwartungsvoll stehen wir in der Warteschlange. Auch hier ist das Einlassverfahren mehrstufig: Zunächst wird geprüft, ob die Eintrittskarte gültig ist, dann wird diese nochmals zusammen mit dem Personalausweis geprüft, und zuletzt werden die Taschen durchgesehen. Die Sicherheit an diesen Orten geht vor, und so warten alle Besucher geduldig. Man fängt an, sich zu unterhalten: Woher kommen Sie? Nehmen Sie das erste Mal an den «Journées européennes du patrimoine» teil? Was steht bei Ihnen noch auf dem Programm?

Was uns beim Durchschreiten der Säle erstaunt: die Mischung aus Prunk und pragmatischer Funktionalität. So umringen über 30 unbequem anmutende Acrylstühle einen imposanten Besprechungstisch im Salle du Conseil.
In jedem Raum findet sich ein imposantes Foto von Emmanuel Macron. Er weist uns mit einer gewissen Strenge den Weg durch die Räumlichkeiten – das tun natürlich auch die vielen würdevollen Vertreter der republikanischen Garde, die an jeder Stelle für Sicherheit und Ordnung sorgen.

Und noch etwas erstaunt: Die Bescheidenheit und Funktionalität der Arbeitsplätze. Man nutzt das, was da ist. Das historische Mobiliar erhält keine Sonderbehandlung, sondern wird selbstverständlich integriert. Man spürt: Wir sind nicht im Museum, hier wird gearbeitet.

Ein Juwel versteckt sich auch hier wieder hinter dem Gebäude: rund drei Hektar Privatpark mitten in Paris. Hier gibt es eine Vielfalt von Bäumen, die auf eine schöne Tradition zurückgehen: Jeder Premierminister wird aufgefordert, einen Baum seiner Wahl zu pflanzen. Diese Tradition wird bis heute fortgesetzt. Nur Jacques Chirac verzichtete während seiner zweiten Amtszeit darauf.

Banque de France – Versailles in Paris
Unser nächster Halt führt uns zur Banque de France, die ihren Sitz im Hôtel de Toulouse im ersten Arrondissement in der Rue Croix des Petits Champs Nummer 39 hat. Das von François Mansart entworfene Herrenhaus war früher im Besitz des Grafen von Toulouse, Louis-Alexandre de Bourbon.
Die Banque de France wird am 18. Januar 1800 von einer Gruppe von Bankiers auf Betreiben von Napoleon Bonaparte gegründet. Ziel war es, die wirtschaftliche Krise nach der Französischen Revolution zu bewältigen und eine stabile Währung zu schaffen. Wenige Jahre später erhielt sie das Monopol zur Ausgabe von Banknoten und wurde so zum Herzen der französischen Finanzwelt.
Eine interaktive Ausstellung zur Entwicklung des Geldes und der Marktwirtschaft führt uns durch die Eingangshalle quer durch das Gebäude. An den zahlreichen Informationsständen, die von den Mitarbeitern der Bank betreut wurden, kann man seine Fragen stellen, vor allem zur Stabilität der europäischen Währung.
Vom modernen Bau wechseln wir schließlich in den historischen Teil aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Wir betreten eine monarchische Welt: Die 40 Meter lange «Galerie Dorée». Ein prunkvoller Saal, dessen Pracht aus der Zeit des Comte de Toulouse stammt, einem legitimierten – unehelichen Die «Goldene Galerie» wurde Anfang des 18. Jahrhunderts im Régence-Stil neu dekoriert und 2015 restauriert.

Tief unter unseren Füßen, 27 Meter unter der Erde, ruhen 2.436 Tonnen Gold im legendären Tresorraum «Souterraine»: Die Goldreserven Frankreichs.
Das Ende einer großartigen Entdeckungstour
Am späten Nachmittag endet unsere Entdeckungstour. Die «Journées européennes du patrimoine» haben uns gezeigt, was Paris so einzigartig macht: Die Stadt bewahrt ihre Geheimnisse sorgsam, um sie dann, für einen kurzen Moment, mit allen zu teilen.
Jeder Ort, den wir heute besuchen durften, erzählte seine eigene Geschichte: vom industriellen Aufschwung im Grand Palais über diplomatische Geheimnisse im Hôtel de Charost bis zur Machtzentrale im Hôtel de Matignon und dem Reichtum der Banque de France. Es war wie eine Zeitreise durch die Schichten der Stadt, bei der Tradition und Moderne keine Gegensätze sind, sondern sich zu einem harmonischen Ganzen fügen.
Zuhause angekommen stoßen wir mit einem Champagner auf dieses außergewöhnliche Wochenende an. Den Élysée-Palast haben wir in diesem Jahr verpasst und auch den französischen Senat. Sie stehen nun ganz oben auf unserer Liste für 2026. Denn eines ist sicher: Diese zauberhafte Entdeckungstour werden wir wiederholen. À nous Paris!

























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