Paris Schwarzweiß: Meine fotografische Tour mit der Leica M11 Monochrom
- Klaus Lintemeier
- 9. Aug.
- 9 Min. Lesezeit
Die Stadt des Lichts zeigt sich von ihrer hellsten Seite. Ich habe das Privileg, sie durch den Sucher einer besonderen Kamera zu erleben: der Leica M11 Monochrom. Fünf Tage lang streife ich Ende Juni 2025 unter der fachkundigen Leitung von Alexander von Wiedenbeck durch die Straßen der französischen Hauptstadt, immer auf der Suche nach dem perfekten Moment, eingefangen in purem Schwarzweiß.
Die Magie der Monochrom
Bevor ich von den Orten erzähle, die wir besucht haben, möchte ich auf das Besondere dieser Kamera eingehen. Die Leica M11 Monochrom ist keine gewöhnliche Digitalkamera, der man einfach die Farbe weggenommen hat. Sie besitzt einen speziellen Sensor, der ausschließlich für Schwarzweißfotografie entwickelt wurde – ohne den üblichen Bayer-Filter, der bei Farbsensoren die verschiedenen Farbkanäle trennt. Das Resultat? Eine unvergleichliche Schärfe, ein erweiterter Dynamikumfang und eine Detailtiefe, die selbst erfahrene Fotografen immer wieder staunen lässt. Mit ihren 60 Megapixeln fängt sie feinste Nuancen ein.
Kombiniert mit dem APO-Summicron-M 2/35 ASPH wird die Monochrom zu einem Traum. Dieses Objektiv ist eine technische Meisterleistung – die apochromatische Korrektur sorgt dafür, dass alle Lichtwellenlängen exakt auf der gleichen Ebene fokussiert werden. Gerade bei der Monochrom, bei der es keine Farbinformationen gibt, die Unschärfen kaschieren könnten, zeigt sich die überragende Qualität dieses Objektivs. Die Schärfe ist bereits bei Offenblende f/2 beeindruckend, und die 35mm Brennweite erweist sich als ideal für die Streetfotografie.
Dramatik am Place de la Bastille
Wir starten am Place de la Bastille, wo die Julisäule mit dem goldenen Geist der Freiheit («Le Génie de la Liberté») in den Himmel ragt. Die 52 Meter hohe Säule erinnert an die Julirevolution von 1830 – der geflügelte Genius auf ihrer Spitze, geschaffen von Auguste Dumont, hält die Fackel der Freiheit und die gerissene Kette der Tyrannei in die Höhe. In der Monochrom-Aufnahme verliert er seine goldene Farbe, gewinnt aber an dramatischer Präsenz gegen den Himmel.

Vom Place de la Bastille ist es nur ein kurzer Weg zum Port de l'Arsenal. Die Marina bietet einen überraschenden Kontrast zum geschäftigen Platz. Einheimische angeln geduldig am Kai, während nebenan die alten Hafenmauern gereinigt werden. Die Arbeiter verwenden Hochdruckstrahler, aber es ist kein Wasser – es sieht aus wie ein spezielles Reinigungspulver. Ein Arbeiter in weißem Schutzanzug und mit Atemschutzmaske verschwindet fast in der Staubwolke. Die Szene wirkt wie ein Science-Fiction-Film, ein unerwartetes Motiv mitten im Pariser Hafenviertel.

Von versteckten Gassen zu ikonischen Wahrzeichen
In der rue Crémieux im 12. Arrondissement begleiten wir ein Schmuck-Fotoshooting. Die pastellfarbenen Häuser dieser Gasse leben von ihrer Buntheit – für mich mit der Monochrom wird genau das zum spannenden Experiment. Die verschiedenen Pastelltöne verwandeln sich in ein Spektrum von Graustufen. Plötzlich treten Details hervor: der raue Putz, Risse im Mauerwerk, die Schatten der Fensterläden, die Katze und der Vogel an der Hauswand. Hier zeigt sich gleich die erste große Herausforderung: das manuelle Fokussieren der Messsucherkamera. Alexander empfiehlt, vorauszudenken – den Fokus auf einen bestimmten Punkt zu setzen und zu warten, bis das Motiv genau dort ist. Die Theorie klingt simpel, die Praxis erfordert Geduld und Timing.

An der Basilika Sacré-Cœur erwartet uns nicht nur die Sühnekirche, sondern auch das pulsierende Leben auf den Treppen davor. Ein unvergessliches Highlight: Auf den Stufen werden gerade die Drehaufnahmen für das Video für den Song «Chez Michel Forever» von Michel Forever gedreht – ein zufälliger Moment, der die lebendige Atmosphäre dieses Ortes perfekt einfängt.
Michel Forever, mit bürgerlichem Namen Michel Sérié, ist eine schillernde Figur des Pariser Nachtlebens und Besitzer des Cabarets «Chez Michel Forever» in Montmartre in der rue Damrémont Nummer 69ter. Seine unermüdliche Energie macht ihn zu einem faszinierenden Fotomotiv. Die Dreharbeiten zu seinem Musikvideo direkt auf den Stufen von Sacré-Cœur zeigen einmal mehr, wie sehr er zur kulturellen DNA von Montmartre gehört.

Nur wenige Schritte von Sacré-Cœur entfernt liegt eine weitere Besonderheit von Montmartre: der Weinberg Clos Montmartre. Um eine besondere Perspektive auf den Weinberg zu bekommen, gehe ich ins Musée de Montmartre. Vom Garten des Museums aus bietet sich ein einzigartiger Blick von oben auf die Weinreben – eine Perspektive, die es nur hier gibt. Die geometrischen Reihen der Rebstöcke, eingerahmt von den typischen Pariser Häusern, ergeben in Schwarzweiß ein grafisches Muster.

Montmartres verborgener Friedhof
Ein besonders stiller Moment ist unser Besuch auf dem Cimetière de Saint-Vincent. Versteckt in der rue Lucien-Gaulard liegt dieser kleine Friedhof, der seit 1831 existiert und heute nur noch Erbbegräbnisse aufnimmt. Mit seinen 900 Gräbern ist er der kleinste der drei Montmartre-Friedhöfe.
Auf dem Friedhof liegt seit 2020 Michou begraben – die schillernde Figur des Pariser Nachtlebens mit der blauen Jacke, den übergroßen Brillen und den platinblonden Haaren, der über Jahrzehnte sein Transformisten-Cabaret in der rue des Martyrs Nummer 80 führte. Frische Blumen auf seinem Grab zeigen, dass er nicht vergessen ist. Im Juli 2024 muss «Chez Michou» nach 68 Jahren leider schließen.
Die alten Grabsteine und knorrigen Bäume, die steilen Wege, die sich den Hang hinaufziehen, und der Blick auf die Kuppel von Sacré-Cœur – all das schafft eine ganz eigene Atmosphäre. In der Monochrom-Aufnahme wirkt der Friedhof zeitlos, als hätte er immer schon so ausgesehen.
Auf der anderen Seite der rue des Saules liegt das legendäre Lapin Agile – das Cabaret, in dem Pablo Picasso, Vincent von Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec, Amedeo Modigliani, Guillaume Apollinaire und Max Jacob die Nächte durchfeiern, als Montmartre während der Belle Époque und in den wilden Zwanzigern das Zentrum der Pariser Bohème ist. Paul Verlaine liest hier seine Gedichte vor. Maurice Utrillo tauscht Bilder gegen Absinth. Die Kunstszene «École de Paris» findet hier ihren Ursprung.

Die ersten gelungenen Momente in Schwarzweiß
Der Weg zum Eiffelturm führt uns quer durch Paris. Wir starten am Pont Neuf – hier wird Jacques de Molay, der letzte Großmeister der Templer, an einem Freitag, dem 13. März 1314, verbrannt. Seitdem gilt Freitag der 13. als Unglückstag. Von der ältesten noch erhaltenen Brücke der Stadt geht es durch Saint-Germain-des-Prés weiter zum Musée Rodin. Ich mache vorher in unserem Quartier noch eine Pause bei Pierre Hermé in der rue Bonaparte Nummer 72 und genieße das beste Haselnusseis der Welt: Glace Infiniment Praliné Noisette.
Im Musée Rodin zeigt sich, warum Skulpturen und Schwarzweißfotografie so gut zusammenpassen. Rodins «Der Kuss» steht im Innenraum des vormaligen «Hotel Biron». Das Licht modelliert die Marmoroberfläche, betont jede Rundung und Vertiefung. Die Monochrom macht die Materialität greifbar: Man sieht förmlich, wie glatt der Stein ist, spürt die Kühle des Marmors. Im Garten bei den Bronzen zeigt die Kamera ihre Stärke: Die raue Oberfläche des Bronzegusses, die Patina, die beabsichtigten Unebenheiten – alles wird in den Graustufen sichtbar. Ohne die Ablenkung durch Farbe konzentriert sich der Blick auf Form und Textur. Die Skulpturen wirken in Schwarzweiß noch plastischer. Es ist, als würde man Rodins Werk durch seine Augen sehen – reduziert auf Licht, Schatten, Form.

Im Café du Musée am Boulevard des Invalides Nummer 17 mache ich eine längere Pause. Ich stelle die Entfernung an der Kamera auf einen festen Wert ein und warte. Jugendliche treffen sich vor dem Café, Pariserinnen kommen mit Einkaufstüten vorbei, jemand hastet zum nächsten Termin. Die manuell fokussierte Leica zwingt mich, den richtigen Moment abzupassen. Die Ergebnisse überraschen mich – gestochen scharf, authentisch.
In diesem Moment fühle ich mich den großen Straßenfotografen nahe: Henri Cartier-Bresson, Elliott Erwitt, Robert Doisneau. Ihre Geduld, ihr Blick für den entscheidenden Moment. Mir wird klar: Streetfotografie ist Warten. Stundenlang an einer Ecke sitzen, beobachten und das Bild vorher komponieren. Im Musée Maillol in der rue de Grenelle Nummer 59-61 läuft gerade die Ausstellung «Robert Doisneau: Instant Donnes», ein Zeichen!

Am Eiffelturm angekommen, erinnert uns Alexander an die Aufgabe, nicht die üblichen Postkartenmotive, sondern neue Perspektiven zu finden und Menschen zu fotografieren, die den «Tour de 300 mètres» besuchen und bestaunen.

Die M11 Monochrom ist eine Eule
Die Église Saint-Sulpice bietet mit ihrer barocken Architektur und dem mystischen Lichtspiel eine ganz andere Herausforderung. Besonders die Delacroix-Fresken in der Kapelle verlangen der Kamera alles ab. Das Licht ist spärlich, die Farben der Fresken verschwinden im Dämmerlicht.
Hier zeigt die M11 Monochrom ihre wahre Stärke: Während Farbkameras bei hohen ISO-Werten schnell rauschen und an Schärfe verlieren, bleibt die Monochrom selbst bei ISO 2000 oder höher gestochen scharf. Der Grund liegt im fehlenden Bayer-Filter. Jeder Pixel des Sensors nimmt die volle Lichtmenge auf, nicht nur einen Farbkanal. Das Ergebnis: mehr Licht pro Pixel, weniger Rauschen, bessere Details. In Saint-Sulpice kann ich problemlos mit ISO 2000 fotografieren und erfasse trotzdem jede Nuance der Delacroix-Fresken. Die Kamera sieht im Dunkeln fast besser als das menschliche Auge.
Notre-Dame de Paris – Aus der Ferne
An Notre-Dame angekommen, stehen wir vor verschlossenen Türen. Es findet gerade eine Priesterweihe statt. Die Kathedrale, nach dem Brand von 2019 gerade erst wiedereröffnet, ist für Besucher nicht zugänglich, der Platz wird geräumt. Die Türme werden anlässlich der Europäischen Tage des Kulturerbes (Journées européennes du patrimoine) am 20. und 21. September wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Wir weichen auf die Tribüne aus, von der sich ein eindrucksvoller Blick auf die renovierte Fassade bietet.
Die M11 Monochrom zeigt hier ihre Stärke bei architektonischen Details: Die frisch gereinigten Steine leuchten hell, jede Skulptur tritt plastisch hervor. Ohne die Ablenkung durch verschiedene Steinfarben konzentriert sich der Blick auf die Struktur. Die filigranen Steinmetzarbeiten, die Rosette, die Strebebögen – alles wird in Graustufen zu einer Studie über Licht und Form.

Regenbogen ohne Farbe
Ein besonderes Highlight ergibt sich durch einen glücklichen Zufall: Weil die Metro nicht fährt, nehme ich einen neuen Weg und steige am Place de la Nation aus. Oben angekommen, traue ich meinen Augen nicht: Der ganze Platz ist voller Menschen und Musik. Ich bin mitten in der Abschlussveranstaltung der Marche des Fiertés, die am 28. Juni hier auf der Place de la Nation endet. Das diesjährige Motto «Love is your emergency call» ist überall zu sehen und zu spüren.

Was für ein Glück für unsere Leica-Tour: Die bunte, ausgelassene Menge bietet unzählige Fotomotive. Sobald die Leute die Leica sehen, wollen alle fotografiert werden – die Kamera wirkt wie ein Magnet. Gerne mache ich die Fotos, bis die unvermeidliche Frage kommt: ob ich die Bilder direkt auf das Mobiltelefon schicken könne, für Instagram und Co.? Ich erkläre, dass die M11 Monochrom zwar eine hochmoderne Digitalkamera ist, aber bewusst auf WiFi und Bluetooth verzichtet. Die Reaktionen sind köstlich – eine Mischung aus Verwunderung und Enttäuschung. Eine Kamera ohne Internetverbindung im Jahr 2025? Das können viele nicht fassen!

Der Leica Store in Paris: Ein Tag in der digitalen Dunkelkammer
Einen ganzen Tag unserer Tour verbringen wir im Leica Store in der rue Boissy d’Anglas Nummer 26 im 9. Arrondissement (Village Royal). Hier lernen wir die Kunst der digitalen Bildentwicklung – das moderne Äquivalent zur klassischen Dunkelkammer.
Bei Schwarzweißfotografie aus RAW-Dateien hat man unglaubliche Möglichkeiten. Anders als bei Farbfotos, bei denen man auf die Balance zwischen den Farbkanälen achten muss, konzentriert sich bei der Monochrom alles auf die Luminanz. Jeder Tonwert lässt sich präzise steuern: Die Lichter können gedämpft, die Schatten aufgehellt werden, ohne dass Farbrauschen entsteht. Besonders faszinierend: Man kann einzelne Graubereiche gezielt ansprechen – ein mittleres Grau verstärken, ohne die helleren oder dunkleren Töne zu beeinflussen.
Paris strahlt auch in Schwarzweiß
Nach fünf intensiven Tagen mit der Leica M11 Monochrom kann ich sagen: Diese Kamera lädt dazu ein, anders zu sehen. Man achtet auf Licht und Schatten, auf Texturen und Formen, auf Kontraste und Übergänge. Alexander von Wiedenbeck hat uns nicht nur zu den fotografisch interessantesten Orten geführt, sondern mich auch gelehrt, die Stadt mit den Augen eines Schwarzweißfotografen zu betrachten.
Insgesamt habe ich 1.500 Aufnahmen gemacht. Nach sorgfältiger Durchsicht und Bearbeitung haben 58 davon fünf Sterne bekommen – und 24 Fotos sind wirklich außergewöhnlich geworden. In diesem Blogbeitrag stelle ich zwölf davon vor.
Noch ein Wort
Paris ohne Farbe? Für manche mag das wie ein Verlust klingen. Doch durch die Monochrom betrachtet, offenbart die Stadt ihre zeitlose Eleganz, ihre architektonische Poesie und das pulsierende Leben in ihren Straßen.
Merci Paris. Merci Alexander. Merci an die Leica M11 Monochrom!
© 2025 Klaus Lintemeier. PARIS MAGIE. Rechte vorbehalten.
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