Paris SchwarzweiĆ: Meine fotografische Tour mit der Leica M11 Monochrom
- Klaus Lintemeier
- 9. Aug.
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Aug.
Die Stadt des Lichts zeigt sich von ihrer hellsten Seite. Ich habe das Privileg, sie durch den Sucher einer besonderen Kamera zu erleben: der Leica M11 Monochrom. Fünf Tage lang streife ich Ende Juni 2025 unter der fachkundigen Leitung von Alexander von Wiedenbeck durch die StraĆen der franzƶsischen Hauptstadt, immer auf der Suche nach dem perfekten Moment, eingefangen in purem SchwarzweiĆ.
Die Magie der Monochrom
Bevor ich von den Orten erzƤhle, die wir besucht haben, mƶchte ich auf das Besondere dieser Kamera eingehen. Die Leica M11 Monochrom ist keine gewƶhnliche Digitalkamera, der man einfach die Farbe weggenommen hat. Sie besitzt einen speziellen Sensor, der ausschlieĆlich für SchwarzweiĆfotografie entwickelt wurde ā ohne den üblichen Bayer-Filter, der bei Farbsensoren die verschiedenen FarbkanƤle trennt. Das Resultat? Eine unvergleichliche SchƤrfe, ein erweiterter Dynamikumfang und eine Detailtiefe, die selbst erfahrene Fotografen immer wieder staunen lƤsst. Mit ihren 60 Megapixeln fƤngt sie feinste Nuancen ein.
Kombiniert mit dem APO-Summicron-M 2/35 ASPH wird die Monochrom zu einem Traum. Dieses Objektiv ist eine technische Meisterleistung ā die apochromatische Korrektur sorgt dafür, dass alle LichtwellenlƤngen exakt auf der gleichen Ebene fokussiert werden. Gerade bei der Monochrom, bei der es keine Farbinformationen gibt, die UnschƤrfen kaschieren kƶnnten, zeigt sich die überragende QualitƤt dieses Objektivs. Die SchƤrfe ist bereits bei Offenblende f/2 beeindruckend, und die 35mm Brennweite erweist sich als ideal für die Streetfotografie.
Dramatik am Place de la Bastille
Wir starten am Place de la Bastille, wo die JulisƤule mit dem goldenen Geist der Freiheit (Ā«Le GĆ©nie de la Liberté») in den Himmel ragt. Die 52 Meter hohe SƤule erinnert an die Julirevolution von 1830 ā der geflügelte Genius auf ihrer Spitze, geschaffen von Auguste Dumont, hƤlt die Fackel der Freiheit und die gerissene Kette der Tyrannei in die Hƶhe. In der Monochrom-Aufnahme verliert er seine goldene Farbe, gewinnt aber an dramatischer PrƤsenz gegen den Himmel.

Vom Place de la Bastille ist es nur ein kurzer Weg zum Port de l'Arsenal. Die Marina bietet einen überraschenden Kontrast zum geschƤftigen Platz. Einheimische angeln geduldig am Kai, wƤhrend nebenan die alten Hafenmauern gereinigt werden. Die Arbeiter verwenden Hochdruckstrahler, aber es ist kein Wasser ā es sieht aus wie ein spezielles Reinigungspulver. Ein Arbeiter in weiĆem Schutzanzug und mit Atemschutzmaske verschwindet fast in der Staubwolke. Die Szene wirkt wie ein Science-Fiction-Film, ein unerwartetes Motiv mitten im Pariser Hafenviertel.

Von versteckten Gassen zu ikonischen Wahrzeichen
In der rue CrĆ©mieux im 12. Arrondissement begleiten wir ein Schmuck-Fotoshooting. Die pastellfarbenen HƤuser dieser Gasse leben von ihrer Buntheit ā für mich mit der Monochrom wird genau das zum spannenden Experiment. Die verschiedenen Pastelltƶne verwandeln sich in ein Spektrum von Graustufen. Plƶtzlich treten Details hervor: der raue Putz, Risse im Mauerwerk, die Schatten der FensterlƤden, die Katze und der Vogel an der Hauswand. Hier zeigt sich gleich die erste groĆe Herausforderung: das manuelle Fokussieren der Messsucherkamera. Alexander empfiehlt, vorauszudenken ā den Fokus auf einen bestimmten Punkt zu setzen und zu warten, bis das Motiv genau dort ist. Die Theorie klingt simpel, die Praxis erfordert Geduld und Timing.

An der Basilika SacrĆ©-CÅur erwartet uns nicht nur die Sühnekirche, sondern auch das pulsierende Leben auf den Treppen davor. Ein unvergessliches Highlight: Auf den Stufen werden gerade die Drehaufnahmen für das Video für den Song Ā«Chez Michel ForeverĀ» von Michel Forever gedreht ā ein zufƤlliger Moment, der die lebendige AtmosphƤre dieses Ortes perfekt einfƤngt.
Michel Forever, mit bürgerlichem Namen Michel SĆ©riĆ©, ist eine schillernde Figur des Pariser Nachtlebens und Besitzer des Cabarets Ā«Chez Michel ForeverĀ» in Montmartre in der rue DamrĆ©mont Nummer 69ter. Seine unermüdliche Energie macht ihn zu einem faszinierenden Fotomotiv. Die Dreharbeiten zu seinem Musikvideo direkt auf den Stufen von SacrĆ©-CÅur zeigen einmal mehr, wie sehr er zur kulturellen DNA von Montmartre gehƶrt.

Nur wenige Schritte von SacrĆ©-CÅur entfernt liegt eine weitere Besonderheit von Montmartre: der Weinberg Clos Montmartre. Um eine besondere Perspektive auf den Weinberg zu bekommen, gehe ich ins MusĆ©e de Montmartre. Vom Garten des Museums aus bietet sich ein einzigartiger Blick von oben auf die Weinreben ā eine Perspektive, die es nur hier gibt. Die geometrischen Reihen der Rebstƶcke, eingerahmt von den typischen Pariser HƤusern, ergeben in SchwarzweiĆ ein grafisches Muster.

Montmartres verborgener Friedhof
Ein besonders stiller Moment ist unser Besuch auf dem Cimetière de Saint-Vincent. Versteckt in der rue Lucien-Gaulard liegt dieser kleine Friedhof, der seit 1831 existiert und heute nur noch Erbbegräbnisse aufnimmt. Mit seinen 900 Gräbern ist er der kleinste der drei Montmartre-Friedhöfe.
Auf dem Friedhof liegt seit 2020 Michou begraben ā die schillernde Figur des Pariser Nachtlebens mit der blauen Jacke, den übergroĆen Brillen und den platinblonden Haaren, der über Jahrzehnte sein Transformisten-Cabaret in der rue des Martyrs Nummer 80 führte. Frische Blumen auf seinem Grab zeigen, dass er nicht vergessen ist. Im Juli 2024 muss Ā«Chez MichouĀ» nach 68 Jahren leider schlieĆen.
Die alten Grabsteine und knorrigen BƤume, die steilen Wege, die sich den Hang hinaufziehen, und der Blick auf die Kuppel von SacrĆ©-CÅur ā all das schafft eine ganz eigene AtmosphƤre. In der Monochrom-Aufnahme wirkt der Friedhof zeitlos, als hƤtte er immer schon so ausgesehen.
Auf der anderen Seite der rue des Saules liegt das legendƤre Lapin Agile ā das Cabaret, in dem Pablo Picasso, Vincent von Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec, Amedeo Modigliani, Guillaume Apollinaire und Max Jacob die NƤchte durchfeiern, als Montmartre wƤhrend der Belle Ćpoque und in den wilden Zwanzigern das Zentrum der Pariser BohĆØme ist. Paul Verlaine liest hier seine Gedichte vor. Maurice Utrillo tauscht Bilder gegen Absinth. Die Kunstszene Ā«Ćcole de ParisĀ» findet hier ihren Ursprung.

Die ersten gelungenen Momente in SchwarzweiĆ
Der Weg zum Eiffelturm führt uns quer durch Paris. Wir starten am Pont Neuf ā hier wird Jacques de Molay, der letzte GroĆmeister der Templer, an einem Freitag, dem 13. MƤrz 1314, verbrannt. Seitdem gilt Freitag der 13. als Unglückstag. Von der Ƥltesten noch erhaltenen Brücke der Stadt geht es durch Saint-Germain-des-PrĆ©s weiter zum MusĆ©e Rodin. Ich mache vorher in unserem Quartier noch eine Pause bei Pierre HermĆ© in der rue Bonaparte Nummer 72 und genieĆe das beste Haselnusseis der Welt: Glace Infiniment PralinĆ© Noisette.
Im MusĆ©e Rodin zeigt sich, warum Skulpturen und SchwarzweiĆfotografie so gut zusammenpassen. Rodins Ā«Der KussĀ» steht im Innenraum des vormaligen Ā«Hotel BironĀ». Das Licht modelliert die MarmoroberflƤche, betont jede Rundung und Vertiefung. Die Monochrom macht die MaterialitƤt greifbar: Man sieht fƶrmlich, wie glatt der Stein ist, spürt die Kühle des Marmors. Im Garten bei den Bronzen zeigt die Kamera ihre StƤrke: Die raue OberflƤche des Bronzegusses, die Patina, die beabsichtigten Unebenheiten ā alles wird in den Graustufen sichtbar. Ohne die Ablenkung durch Farbe konzentriert sich der Blick auf Form und Textur. Die Skulpturen wirken in SchwarzweiĆ noch plastischer. Es ist, als würde man Rodins Werk durch seine Augen sehen ā reduziert auf Licht, Schatten, Form.

Im CafĆ© du MusĆ©e am Boulevard des Invalides Nummer 17 mache ich eine lƤngere Pause. Ich stelle die Entfernung an der Kamera auf einen festen Wert ein und warte. Jugendliche treffen sich vor dem CafĆ©, Pariserinnen kommen mit Einkaufstüten vorbei, jemand hastet zum nƤchsten Termin. Die manuell fokussierte Leica zwingt mich, den richtigen Moment abzupassen. Die Ergebnisse überraschen mich ā gestochen scharf, authentisch.
In diesem Moment fühle ich mich den groĆen StraĆenfotografen nahe: Henri Cartier-Bresson, Elliott Erwitt, Robert Doisneau. Ihre Geduld, ihr Blick für den entscheidenden Moment. Mir wird klar: Streetfotografie ist Warten. Stundenlang an einer Ecke sitzen, beobachten und das Bild vorher komponieren. Im MusĆ©e Maillol in der rue de Grenelle Nummer 59-61 lƤuft gerade die Ausstellung Ā«Robert Doisneau: Instant DonnesĀ», ein Zeichen!

Am Eiffelturm angekommen, erinnert uns Alexander an die Aufgabe, nicht die üblichen Postkartenmotive, sondern neue Perspektiven zu finden und Menschen zu fotografieren, die den «Tour de 300 mètres» besuchen und bestaunen.

Die M11 Monochrom ist eine Eule
Die Ćglise Saint-Sulpice bietet mit ihrer barocken Architektur und dem mystischen Lichtspiel eine ganz andere Herausforderung. Besonders die Delacroix-Fresken in der Kapelle verlangen der Kamera alles ab. Das Licht ist spƤrlich, die Farben der Fresken verschwinden im DƤmmerlicht.
Hier zeigt die M11 Monochrom ihre wahre StƤrke: WƤhrend Farbkameras bei hohen ISO-Werten schnell rauschen und an SchƤrfe verlieren, bleibt die Monochrom selbst bei ISO 2000 oder hƶher gestochen scharf. Der Grund liegt im fehlenden Bayer-Filter. Jeder Pixel des Sensors nimmt die volle Lichtmenge auf, nicht nur einen Farbkanal. Das Ergebnis: mehr Licht pro Pixel, weniger Rauschen, bessere Details. In Saint-Sulpice kann ich problemlos mit ISO 2000 fotografieren und erfasse trotzdem jede Nuance der Delacroix-Fresken. Die Kamera sieht im Dunkeln fast besser als das menschliche Auge.
Notre-Dame de Paris ā Aus der Ferne
An Notre-Dame angekommen, stehen wir vor verschlossenen Türen. Es findet gerade eine Priesterweihe statt. Die Kathedrale, nach dem Brand von 2019 gerade erst wiedererƶffnet, ist für Besucher nicht zugƤnglich, der Platz wird gerƤumt. Die Türme werden anlƤsslich der EuropƤischen Tage des Kulturerbes (JournĆ©es europĆ©ennes du patrimoine) am 20. und 21. September wieder für die Ćffentlichkeit zugƤnglich sein. Wir weichen auf die Tribüne aus, von der sich ein eindrucksvoller Blick auf die renovierte Fassade bietet.
Die M11 Monochrom zeigt hier ihre StƤrke bei architektonischen Details: Die frisch gereinigten Steine leuchten hell, jede Skulptur tritt plastisch hervor. Ohne die Ablenkung durch verschiedene Steinfarben konzentriert sich der Blick auf die Struktur. Die filigranen Steinmetzarbeiten, die Rosette, die Strebebƶgen ā alles wird in Graustufen zu einer Studie über Licht und Form.

Regenbogen ohne Farbe
Ein besonderes Highlight ergibt sich durch einen glücklichen Zufall: Weil die Metro nicht fährt, nehme ich einen neuen Weg und steige am Place de la Nation aus. Oben angekommen, traue ich meinen Augen nicht: Der ganze Platz ist voller Menschen und Musik. Ich bin mitten in der Abschlussveranstaltung der Marche des Fiertés, die am 28. Juni hier auf der Place de la Nation endet. Das diesjährige Motto «Love is your emergency call» ist überall zu sehen und zu spüren.

Was für ein Glück für unsere Leica-Tour: Die bunte, ausgelassene Menge bietet unzƤhlige Fotomotive. Sobald die Leute die Leica sehen, wollen alle fotografiert werden ā die Kamera wirkt wie ein Magnet. Gerne mache ich die Fotos, bis die unvermeidliche Frage kommt: ob ich die Bilder direkt auf das Mobiltelefon schicken kƶnne, für Instagram und Co.? Ich erklƤre, dass die M11 Monochrom zwar eine hochmoderne Digitalkamera ist, aber bewusst auf WiFi und Bluetooth verzichtet. Die Reaktionen sind kƶstlich ā eine Mischung aus Verwunderung und EnttƤuschung. Eine Kamera ohne Internetverbindung im Jahr 2025? Das kƶnnen viele nicht fassen!

Der Leica Store in Paris: Ein Tag in der digitalen Dunkelkammer
Einen ganzen Tag unserer Tour verbringen wir im Leica Store in der rue Boissy dāAnglas Nummer 26 im 9. Arrondissement (Village Royal). Hier lernen wir die Kunst der digitalen Bildentwicklung ā das moderne Ćquivalent zur klassischen Dunkelkammer.
Bei SchwarzweiĆfotografie aus RAW-Dateien hat man unglaubliche Mƶglichkeiten. Anders als bei Farbfotos, bei denen man auf die Balance zwischen den FarbkanƤlen achten muss, konzentriert sich bei der Monochrom alles auf die Luminanz. Jeder Tonwert lƤsst sich prƤzise steuern: Die Lichter kƶnnen gedƤmpft, die Schatten aufgehellt werden, ohne dass Farbrauschen entsteht. Besonders faszinierend: Man kann einzelne Graubereiche gezielt ansprechen ā ein mittleres Grau verstƤrken, ohne die helleren oder dunkleren Tƶne zu beeinflussen.
Paris strahlt auch in SchwarzweiĆ
Nach fünf intensiven Tagen mit der Leica M11 Monochrom kann ich sagen: Diese Kamera lƤdt dazu ein, anders zu sehen. Man achtet auf Licht und Schatten, auf Texturen und Formen, auf Kontraste und ĆbergƤnge. Alexander von Wiedenbeck hat uns nicht nur zu den fotografisch interessantesten Orten geführt, sondern mich auch gelehrt, die Stadt mit den Augen eines SchwarzweiĆfotografen zu betrachten.
Insgesamt habe ich 1.500 Aufnahmen gemacht. Nach sorgfƤltiger Durchsicht und Bearbeitung haben 58 davon fünf Sterne bekommen ā und 24 Fotos sind wirklich auĆergewƶhnlich geworden. In diesem Blogbeitrag stelle ich zwƶlf davon vor.
Noch ein Wort
Paris ohne Farbe? Für manche mag das wie ein Verlust klingen. Doch durch die Monochrom betrachtet, offenbart die Stadt ihre zeitlose Eleganz, ihre architektonische Poesie und das pulsierende Leben in ihren StraĆen.
Merci Paris. Merci Alexander. Merci an die Leica M11 Monochrom!
Ā© 2025 Klaus Lintemeier. PARIS MAGIE. Rechte vorbehalten.
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