Wo Impressionisten malen und Marcel Proust träumt: Der zauberhafte Parc Monceau
- Ruth Lintemeier
- 31. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Juni
Der Parc Monceau erweist sich als magischer Ort – voller Romantik. Besonders in den Sommermonaten suchen wir gerne Zuflucht unter den ausladenden Kronen mächtiger, weitverzweigter Bäume.
Wir befinden uns inmitten einer englischen Parklandschaft, die trotz ihrer Lage zwischen dem 8. und 17. Arrondissement im Herzen von Paris den Eindruck von Weite und unberührter Natur vermittelt. Entlang der Parkgrenze ziehen unzählige Jogger konzentriert ihre Runden: Distanz und Zeit lassen sich kinderleicht messen: Eine vollständige Runde entspricht genau einem Kilometer.
Dieser Park gewährt uns einen Einblick in das ursprüngliche Erscheinungsbild urzeitlicher Bäume und verdeutlicht, weshalb diese zu bedeutsamen Biotopen für verschiedenste Tierarten wurden. Ein wahres Vogelparadies entfaltet sich hier. Dass dies gleichermaßen für die Bäume gilt, wird vor Ort deutlich sichtbar: Sie erfahren sorgfältige Pflege, abgestorbene Äste werden fachgerecht entfernt, und sowohl junge als auch hochbetagte Exemplare finden Schutz durch Umzäunungen. Die magische Ausstrahlung, die der Baumbestand dem Park seit jeher verleiht, spiegelt sich eindrucksvoll in den Gemälden der Impressionisten zum Parc Monceau wider.
Malern wie Claude Monet und Gustave Caillebotte wird im Park bewusst, wie das Blattwerk ein einzigartiges Wechselspiel von Licht und Schatten hervorruft. Claude Monet malt hier seine ersten bedeutenden Gartendarstellungen: 1876 entstehen drei Ansichten des Parks im Frühling; zwei Jahre später malte er erneut drei Ansichten. Diese Ansichten zeigen nicht nur das bunte Treiben im Park, sondern stellen die hohen Bäume mit ihren Grün-, Gelb- und Braunschattierungen immer wieder heraus. Auch Gustave Caillebotte (1878) und Vincent van Gogh (1886) sowie Georges Braque (1900) richten ihren Blick auf die imposanten Bäume des Parks und versuchen hier, die Faszination der Natur einzufangen.


Wenn wir uns weiter umschauen, finden wir seltene Exemplare wie eine Lariciokiefer und einen virginischen Tulpenbaum. Wir stehen ehrfurchtsvoll vor mehreren der höchsten und ältesten Bäume innerhalb der Metropole Paris:
Ein über 100 Jahre alter Aesculus Hippocastanum erstreckt sich bis in fast 30 Meter Höhe. Ein Ginkgo Bilobaist rund 150 Jahre alt, und zwei Platanus Orientales sind zwischen 200 und 250 Jahre alt. Mit einem Umfang von bis zu sieben Metern sind sie fest verwurzelt und werden täglich Zeugen vom wuseligen Treiben der kleinen Menschlein an diesem Ort.


Mit den «kleinen Menschlein» sind die Kinder gemeint, die hier besonders gerne in den Ferien oder am Wochenende auf dem Rasen unter der Aufsicht ihrer «nounou» toben, aber auch die vielen Kindergruppen aus der École élémentaire, die mit ihren bunten Sicherheitswesten nicht zu übersehen sind. Nicht zuletzt deshalb gibt es hier neben dem typischen Karussell einen Abenteuer-Spielplatz der Firma Kompan, die seit den 1970er Jahren kreative Spielorte schafft, bei denen das freie Spiel im Mittelpunkt steht.
Anders als die geordnete barocke Anlage des Jardin du Luxembourg entfaltet dieser Park eine bewusste Unordnung und scheinbare Zufälligkeit. Wir haben gleich das Gefühl, dass mehrere unterschiedliche Hände an diesem Park mitgewirkt haben.
Zwei imposante Alleen durchziehen den Park in nord-südlicher und ost-westlicher Richtung und kreuzen sich im Zentrum. Ein Netzwerk gewundener Pfade schlängelt sich dazwischen hindurch, vorbei an Denkmälern bedeutender Persönlichkeiten wie Guy de Maupassant, Édouard Pailleron und Frédéric Chopin. Diese Wege führen auch zu architektonischen Kleinoden, die den Park in eine Miniatur-Weltausstellung verwandeln: korinthische Säulen rahmen ein Wasserbecken ein, antike Einzelsäulen verstecken sich zwischen den Bäumen, eine ägyptische Miniaturpyramide säumt den Wegesrand. Dazu gesellen sich ein chinesisch anmutendes Türmchen und eine geschwungene Brücke nach dem Vorbild der venezianischen Rialto-Brücke.

«Folie de Chartres» – die Verrücktheit des Herzogs hat den Park anfangs geprägt: Er wird von Louis-Philipp-Joseph, dem Herzog von Orléans und Chartres und Cousin von Ludwig XVI. angelegt. Er beauftragt den Künstler und Architekten Louis Carmontelle mit der Planung. Von diesem stammt die Idee, die Besucher durch eine Vielzahl von Objekten so zu begeistern, dass diese jeden Tag den Wunsch verspüren, den Park zu besuchen.

Mit der Eröffnung 1769 findet die Anlage des Parks keineswegs ihren Abschluss – vielmehr wird sie durch verschiedene Landkäufe innerhalb der folgenden zehn Jahre fortgeführt, bis der Park eine Größe von rund zwölf Hektar erreicht. Als enger Freund des Prince of Wales und späteren Königs George IV. zeigt sich der Herzog von den englischen Parkanlagen begeistert und beauftragt schließlich 1785 den schottischen Gartenarchitekten Thomas Blaikie mit der Umgestaltung nach englischem Vorbild. Innerhalb der folgenden drei Jahre verwandelt sich der Park grundlegend und entwickelt sich mit seinem verspielten Konzept zu einem Lieblingsort der Pariser.
Nur in diesem Park konnte André-Jacques Garnerin am 22. Oktober 1797 den ersten Fallschirmsprung aus einem Wasserstoffballon in 400 Metern Höhe wagen. Während andere Parks noch den starren Geometrien des Ancien Régime folgten, atmete Monceau bereits den Geist der neuen Zeit: unkonventionell, experimentierfreudig, bereit für das Unmögliche. Hier gilt immer «comme vous l’aimez !»
Blicken wir über die acht Meter hohen «Grilles du Parc Monceau» hinaus und betrachten, wie in den folgenden Jahrzehnten die Parkfläche kontinuierlich schrumpfte: Nach der Französischen Revolution fällt er 1793 an den französischen Staat, während der Restauration wird jedoch die Hälfte seiner Fläche der Familie von Orléans zurückgegeben. Nachdem die Stadt Paris das Gelände erworben hat, lassen die Brüder Émile und Isaac Pereire die Hälfte der Fläche mit spekulativer Randbebauung für Großbourgeoisie und Aristokratie bebauen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägen die prachtvollen Anwesen wohlhabender jüdischer Familien das Stadtbild – darunter die repräsentativen Residenzen der Ephrussi und der Camondo. Noch heute zeugen die prächtigen Stadtvillen, die den Park regelrecht umarmen, von dieser Zeit. Die andere Hälfte des Parks wird vom Pariser Präfekt Baron Georges-Eugène Haussmann als Grünfläche erhalten und unter der Leitung vom Stadtplaner und Gartenplaner Jean-Charles Alphand zum öffentlichen Park ausgebaut.
Obwohl der Park nach diesen Entwicklungen kaum mehr die Hälfte der ursprünglich 19 Hektar umfasst, bewahrt er seine Attraktivität. Ein berühmter Besucher ist Marcel Proust, der um die Jahrhundertwende regelmäßig mit Freunden vergnügliche Nachmittage dort verbringt. In der luxuriösen Wohnung seiner Eltern in der Rue de Courcelles 45 organisiert er Abendessen, bei denen sich Künstler und Aristokraten treffen.
Kurt Tucholsky schreibt rund 25 Jahre später im Gedicht «Park Monceau» (1924) über einen Moment scheinbarer Idylle, der sich als schmerzhafte Exilerfahrung entpuppt. Der Park wird zum Refugium, wo er endlich wieder «Mensch» sein kann – eine bittere Erkenntnis, die zeigt, dass ihm diese Menschlichkeit in Deutschland verwehrt wurde.
Die Schlusszeile offenbart die Tragik: Tucholsky muss «von seinem Vaterlande» ausruhen. Das Deutschland, das seine besten Geister ins Exil treibt, wird zur Bedrohung für die eigene Existenz. Im Pariser Park findet der Dichter jene Freiheit und Menschenwürde, die ihm die Heimat genommen hat.
Hier ist es hübsch.
Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
sagt keine Tafel, was verboten ist.
Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen.
Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt.
Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen
und freut sich, wenn er was gefunden hat.
Es prüfen vier Amerikanerinnen,
ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn.
Paris von außen und Paris von innen:
sie sehen nichts und müssen alles sehn.
Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen.
Die Sonne scheint und glitzert auf ein Haus.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen
und ruh von meinem Vaterlande aus.
Immer wieder zieht es uns in diesen Park zurück, wo wir auf den außergewöhnlich komfortablen Holzbänken Platz nehmen, den kreisenden Joggern und schnellen Läufern bei ihren Runden zusehen. Danach unternehmen wir unseren eigenen Rundgang, verlassen dabei oft die vorgegebenen Pfade und richten unseren Blick auf die Bäume, die sich je nach Jahreszeit in stets neuer Gestalt präsentieren. Ihr sanftes Blätterrauschen und das leise Knistern der Zweige verleihen diesem Ort seine zauberhafte Atmosphäre.

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