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Brasserie Martin: Wo Paris nach la cuisine de grand-mère schmeckt

  • Autorenbild: Ruth Lintemeier
    Ruth Lintemeier
  • 5. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 7 Tagen

Ein Mittag im 11. Arrondissement zwischen Zwiebelwürfeln und Sam Cooke


Es gibt Orte in Paris, die nicht im Reiseführer stehen. Sie sind zu echt, zu sehr Paris, als dass man dort Touristen sehen würde. Es sind Orte, an denen die Pariser unter sich bleiben. Die Brasserie Martin im 11. Arrondissement ist so ein Ort. Ein lebendiges Universum aus poliertem Edelstahl und dem Duft von geschmortem Fleisch.

 

Nach einem langen Spaziergang durch den Bois de Vincennes haben wir Lust auf warme Hausmannskost. Mit der Buslinie 46 fahren wir quer durch Paris und steigen an der Haltestelle Saint-Ambroise aus. Wir laufen wenige Meter die Rue Saint-Ambroise hoch und schon stehen wir vor der Tür. Beim Betreten der Brasserie steigt ein Bild in meinem Kopf hoch: meine westfälische Großmutter, adrett mit Schürze in unserer Küche, wie sie für die große Familie mit Herzenslust kochte. Es gab solide Hausmannskost, nichts Spektakuläres, aber von einer herausragenden Qualität. Einfachheit als höchste Form der Perfektion.

 

Die Brasserie Martin ist das gastronomische Echo dieser Erinnerung. Hier wird für Menschen gekocht, die wissen, dass man mit gutem Essen und gutem Wein das Leben feiert, wenn es auch so alltäglich ist wie an diesem Montagmittag.

 

Wir nehmen an der Theke Platz, «au comptoir». Für uns ist das neu, sind wir es doch gewohnt am Tisch zu sitzen. Aber der direkte Blick in die offene Küche ist zu einladend, als dass wir das freundliche Zuweisen des Chef de Rang ausschlagen möchten.


Wir blicken von unserem Platz direkt auf den imposanten Grill und den Herd, an dem das Fleisch gebraten wird. Die leckeren Düfte steigen direkt in unsere Nasen.
Wir blicken von unserem Platz direkt auf den imposanten Grill und den Herd, an dem das Fleisch gebraten wird. Die leckeren Düfte steigen direkt in unsere Nasen.

Rechts von uns: zwei junge Frauen, lässig elegant, die ihr «Poulet Rôti à la Broche» mit ruhiger Präzision zerlegen und dazu ein Glas Rotwein trinken, als wäre Mittagspause eine Kunstform. Ihre Gespräche handeln von den Terminen im Büro und ihren Partnern.


Links ein besonderer Stuhl, der zunächst leer bleibt: ein Stammplatz, der später von einem schlanken, schwarz gekleideten und in sich gekehrten Herrn mit Brille besetzt wird. Er bestellt nur mit einem Fingerzeig. Jeder weiß, was er will. Heute ist es «Magret de Canard» und verlockende «Profiteroles» zum Dessert.

 

In der rechten Ecke sitzt eine charmante Dame in den Fünfzigern. Aus dem Augenwinkel scheint es uns, dass ein Glas Wein dem anderen mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks folgt. Aber es bleibt angenehm. Sie hat den «Pêche du Moment» und genießt scheinbar beiläufig jeden Bissen. Sie beobachtet alles und nichts, eine stille Chronistin des Brasserielebens. Drei ältere Damen kommen leicht verspätet zu ihrem reservierten Tisch. Die Entschuldigungen fließen wie Sauvignon Blanc, die Berührungen bleiben leicht wie Baiser. Paris in seiner reinsten Form.

 

Wir entscheiden uns für «Saucisse Purée», eine Schweinswurst mit Salat und Kartoffelbrei. Es ist ein herrlich schnörkelloses Gericht: Der Kartoffelbrei ist leicht und cremig zugleich, sehr schmackhaft! Die scharf angebratene Wurst ist innen schön saftig und schmeckt nach mehr. Der Salat, angemacht mit grober Senfsoße, bildet mit seiner Frische und Schärfe den perfekten Kontrast. Dazu ein frisch gezapftes Bier.


Unser Mittagessen – einfach und schmackhaft. Die Bratensoße als kleiner See im Kartoffelberg gibt die richtige Würze.
Unser Mittagessen – einfach und schmackhaft. Die Bratensoße als kleiner See im Kartoffelberg gibt die richtige Würze.

Als Dessert wählen wir natürlich «Paris-Brest», eine Liebeserklärung an die Königin der Radmarathons: Paris-Brest-Paris, 1.200 Kilometer lang, nur alle vier Jahre ausgetragen (siehe unser Beitrag zu «Paris-Brest»).


Der Traum von einem Dessert – cremig und knusprig zugleich, nicht zu süß und ein vollendeter Geschmack nach gerösteten Nüssen.
Der Traum von einem Dessert – cremig und knusprig zugleich, nicht zu süß und ein vollendeter Geschmack nach gerösteten Nüssen.

Wir kommen mit dem Rotisseur ins Gespräch. Fachmännisch grillt er das Fleisch und philosophiert dabei, warum das 11. Arrondissement wie kein anderes ist: «Hier ist es einfach unvergleichlich».

 

Hier ein Blick auf den Rotisseur, der sich entspannt und fachmännisch zugleich um die Braten, das Geflügel, die Steaks und Würste kümmert. Mit ihm kommen wir ins Gespräch und philosophieren über das Leben im 11. Arrondissement.
Hier ein Blick auf den Rotisseur, der sich entspannt und fachmännisch zugleich um die Braten, das Geflügel, die Steaks und Würste kümmert. Mit ihm kommen wir ins Gespräch und philosophieren über das Leben im 11. Arrondissement.

Zeitgleich richtet der Chef de Cuisine die Teller an und singt immer wieder eine Zeile aus Sam Cookes «What a Wonderful World»: «Don't know much about history (…)». Dann führt er eine rege Diskussion mit dem Entremetier über die Größe der Zwiebelwürfel. « Ils doivent être plus petits !», ruft er, als hinge das Schicksal der französischen Küche davon ab. Eine junge Gardemanger richtet währenddessen Salate an, ein anderer dämpft andächtig Lauch. Wir könnten stundenlang zusehen.


Der sangesfreudige Chef de Cuisine in Aktion: Er hat alles im Blick und prüft jeden Teller, bevor dieser über die Theke wandert. Zugleich gibt er durch schnelle Blicke und kurze Handbewegungen den Takt in der Küche vor.
Der sangesfreudige Chef de Cuisine in Aktion: Er hat alles im Blick und prüft jeden Teller, bevor dieser über die Theke wandert. Zugleich gibt er durch schnelle Blicke und kurze Handbewegungen den Takt in der Küche vor.
Aber es ist immer Zeit dafür, nach den Gästen zu sehen und zu hören, dass alles wunderbar schmeckt!
Aber es ist immer Zeit dafür, nach den Gästen zu sehen und zu hören, dass alles wunderbar schmeckt!

Draußen vor dem Fenster zeigt sich das 11. Arrondissement in seiner unprätentiösen Kulisse. Hier, wo kleine Cafés neben maghrebinischen Gemüseläden existieren, wo der koschere Bäcker dem vietnamesischen Friseur zunickt, wo Weltoffenheit so selbstverständlich is t, dass niemand mehr darüber spricht – hier ist Paris, wie es sein sollte. Es ist kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander, das so natürlich wirkt wie die Art und Weise, mit der der Koch «Don't know much about history» singt, während er die Teller anrichtet.

 

Nach zwei genussvollen Stunden brechen wir auf. Wir schlendern in den Straßen des 11. Arrondissement umher und sinnieren: «Quel endroit exceptionnel ! Il n'en existe pas deux comme celui-ci??!» Was für eine schöne Mittagspause!

 

Die Brasserie Martin gehört zu einer Reihe von Brasserien der «La nouvelle Garde», einer Gastronomiegruppe, die 2019 von Charles Perez und Victor Dubillot gegründet wurde. Das Ziel: Klassiker der traditionellen französischen Küche mit einer Auswahl an hochwertigen, lokalen und saisonalen Produkten neu zu interpretieren. Auf der Website der Brasserie Martin liest es sich fast kämpferisch: «On se bat pour sauver notre patrimoine gastronomique français, alors dans la mesure du possible on se fournit autour d’ici et en région sur la presque totalité de nos produits».


Mit Stolz tragen alle das passende T-Shirt, nicht nur von der Brasserie, sondern auch von allen anderen Brasserien.
Mit Stolz tragen alle das passende T-Shirt, nicht nur von der Brasserie, sondern auch von allen anderen Brasserien.

In Paris finden sich noch die Brasserie Dubillot im zweiten Arrondissement, die Brasserie des Prés im sechsten Arrondissement und die Brasserie Bellanger im zehnten Arrondissement. Die Brasserie des Prés oder Bellanger werden unser nächstes Ziel, wenn uns wieder einmal die Lust auf eine gute französische Küche packt: Nous aurons un gros appétit !

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